02_ZAK Februar 2019_Ansicht

Bildung &Wissen Bildung &Wissen „Es ist ein Wahnsinn, wie viele Lebensmittel täglich weggewor- fen werden. Das wirst du schon sehen.“Mit diesenWortenbegrüßt mich Jonas. Man merkt sofort: Dumpstern – also in Mistkübeln nach Essen zu suchen – liegt ihm am Herzen. Ohne viel Zeit zu verlieren, steuert er gerade- wegs unser erstes Ziel an – einen Supermarkt ganz in der Nähe des Jakominiplatzes. Wir haben Pech – das Eingangstor, hinter dem die weggeworfenen Lebensmittel auf uns warten sollten, ist versperrt. „Das kann schon einmal vorkom- men. Manchmal hat man Glück, manchmal eben nicht“, gibt sich der 28-Jährige p r agma t i s ch . Jonas – das wird bereits nach den ersten Aussagen spürbar – ist er- fahren. Seit neun Jahren wühlt er mittlerweile im Müll herum. Von der ersten Sekunde weg war er vom„Containern“, wie Dumpstern auch genannt wird, begeistert. Und schockiert. 206.000 Tonnen Essen landen alleine in Österreich jährlich im Müll. Global gesehen wird sogar einDrittel aller Lebens- mittel weggeschmissen. Jonas blickt der Situation wenig hoff- nungsvoll entgegen: „Natürlich ist das ein riesiges Problem, aber ich werde die Welt nicht retten können. Vielmehr sollten sich die Gesetzgeber andere Regelungen überlegen.“ Gut und gratis Der Psychologie-Student hat mit dem Dumpstern einen Weg ge- funden, gratis an genießbare Lebensmittel zu gelangen. „Ich gehe dreimal in der Woche dumpstern und komme meis- tens sieben Tage damit aus“, er- zählt Jonas, kurz bevor wir beim zweiten Supermarkt ankommen. Im Abfallraum, zu dem der Zutritt eigentlich verboten ist, finden wir zahlreiche Getränke, die Jonas und ich brüderlich aufteilen.„Jetzt fehlt nur noch das Essen für die nächste Feier“, schmunzelt er. Tat- sächlich lädt Jonas seine Freunde nach dem Dumpstern häufig zu sich ein. „Letztens habe ich sogar ein Steak gefunden, das wir da- nach gegessen haben“, erklärt er mit leuchtenden Augen. Grauzone Auf dem Weg zum letzten Su- permarkt spreche ich ihn auf den rechtlichen Aspekt des Con- tainerns an. Oft ist von einer rechtlichen Grauzone zu hören, Warum dumpsterst du? Jonas*: Esmacht sehr viel Spaß, weil man nie weiß, was man findet. Außerdem kann man einiges an Geld sparen. Wie lautet dein Tipp für Men- schen, die auch mit dem Dumpstern beginnen wollen? Jonas: Auf Facebook gibt es die Gruppe „Dumpstern Graz“. Da kann man immer fragen, ob man jemanden auf eine Tour begleiten kann oder wo man am besten nach Essen sucht. Woran liegt es deinerMeinung nach, dass Dumpstern sehr beliebt ist? Jonas: Man kann viel Geld spa- ren. Außerdem ist es ein gutes Gefühl, wenn man Sachen verwertet, bevor diese wegge- schmissen werden. „Es ist ein gutes Gefühl, Sachen zu verwerten“ INTERVIEW Pro Jahr werden in Österreich ca. 75.000 Tonnen Nahrungsmittel von den Supermärkten wegge- worfen. Beispielsweise wird in Wien pro Tag so viel Brot ent- sorgt, wie in Graz gegessen wird. Derzeit gibt es in der steirischen Landeshauptstadt Schätzungen zufolge rund 2.000 aktive Dumps- terer. Infos für Interessierte gibt es auf Facebook in der Gruppe „Dumpstern Graz“. zak info 19 Jahre lang war die 54-jährige Obersteirerin bei einer großen Handelskette tätig, zuletzt als stellvertretende Filialleiterin. Die Verkäuferin wollte entgegen der Weisung ihres Arbeitge- bers zwei 10er-Packungen mit abgelaufenen Eiernmit nach Hause nehmen. Ihr Dienstgeber ließ die Frau vor dem Heimweg kontrollieren – und entdeckte die unerlaubte Mitnahme. Die Geschäftsleitung reagierte mit einer frist- losen Entlassung. Die Verkäuferin fühlte sich ungerecht behandelt und wandte sich an die AK Leoben um Hilfe. Sie sei bisher nie für ihre Arbeit gerügt worden, und ihr Umgang mit den Kundinnen und Kunden wurde immer als äußerst vorbildlich beschrieben, erklärte die 54-Jährige. Unverhältnismäßig Die AK intervenierte beim Handelskonzern, da die Entlassung unverhältnismäßig war. „Es ist ein Unterschied, ob jemand ein halbes Jahr oder zwanzig Jahre angestellt ist. Zudem ließ sich die Steirerin nie etwas zuschulden kom- men“, erklärt der Leobener Arbeitsrechtexperte Christoph Radlingmayr. In erster Instanz wurde die Klage jedoch abgewiesen. 28.000 Euro für die Arbeitnehmerin Doch die Arbeiterkammer ließ nicht locker und bekam schlussendlich vom Obersten Gerichtshof recht. Zwar habe die Obersteirerin zweifelsfrei einen Fehler begangen, allerdings hätte sie aufgrund der langen Dienstangehö- rigkeit und der hervorragenden Arbeitsweise mit gelinderten Sanktionen bedacht werden müssen. „Wir konnten für die 54-Jährige die Entlassung in eine Kündigung umwandeln und ihr somit Beendigungsansprüche in Höhe von rund 28.000 Euro sichern“, sagt der Arbeits- rechtsexperte. die Dumpsterer beimNachgehen ihrer Leidenschaft betreten. Und tatsächlich: Perfekt ausjudiziert ist das Thema noch nicht. Zwar stellt das Mitnehmen von Abfall an sich keine Straftat dar, da Müll als her- renlose Sache gilt. Verschafft man sich allerdings unerlaubt Zutritt zu abgesperrten Räumen – so wie Jonas es hin undwieder tut – sieht die Sache juristischgesehen etwas anders aus: Demnach können so- gar bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe die Folge sein. „Es wird in Graz ohnehin nie kontrolliert. Daher habe ich auch überhaupt keine Angst, erwischt zu werden“, sieht der 28-Jährige die Angelegenheit locker. Diese Lockerheit kommt nicht von ungefähr: Die meisten Supermärkte tolerieren Dumps- terer, da genießbare Lebensmittel verwertet statt weggeschmis- sen werden. Beispielsweise wird bei Spar Österreich laut einer Kon- zernsprecherin versucht, für jede Filiale soziale Einrichtungen in der Nähe zu finden, die genießbare, Wegen 20 abgelaufenen Eiern Verkäuferin entlassen aber abgelaufeneWare brauchen. Dennoch kann es vorkommen, dass Lebensmittel in der Müll- tonne landen, weil sie etwa nicht täglich weitergegeben werden. Solange das Containern ohne Lärmbelästigung oderVerschmut- zung abläuft, stellt das Dumpstern für Spar kein Problem dar. Es schmeckt Beim dritten Supermarkt ange- kommen, gelangen wir durch einenWohnungseingang in einen kleinen Innenhof, in dem der Ab- fall aufbewahrt wird. GutenMutes öffnet Jonas alle Mülltonnen – auch die mit der Aufschrift Bioab- fall. In der dunkelbraunen Tonne finden wir frischen Paprika. Wir suchen weiter und werden auch in den restlichen Tonnen fündig. Brot, Croissants, Krapfen, Mini- Pizzen und Käsestangerl, Joghurt, Milch – spätestens jetzt verstehe ich, was Jonasmeinte, als er sagte, dass er sich fast ausschließlich vom Dumpstern ernähren könne. Blick auf das Ablaufdatum der Produkte: der heutige Tag. „Das ist nichts Außergewöhnliches“, scheint Jonas meine Gedanken lesen zu können. Der Student genehmigt sich ein eben gefun- denes Croissant: „Schmeckt her- vorragend“, lächelt er und bietet mir einen Biss an. Er hat recht. Ein bittersüßer Beigeschmack bleibt ob der Vielzahl der gefundenen Produkte dennoch. NF *Name geändert Leben aus der Mülltonne. Das ist für Jonas* zur Realität geworden – und damit steht er nicht alleine da. Leben aus der Mülltonne Dumpstern, also das Suchen von Essen in Mistkübeln, ist Sache engagierter junger Leute. Viele Menschen bewegt, dass massenhaft genießbare Lebensmittel imMüll landen. Jonas* will anonym bleiben. Er sucht seit Jahren sein Essen im Müll und steht der ZAK Rede und Antwort. Dankbarkeit ist ein rares Gut. Das bekam eine Verkäuferin zu spüren, die jahrzehntelang tadellos tätig war, aber wegen zwei Packungen abgelaufener Eier, die sie mitnahm, entlassen wurde. Die AK Leoben intervenierte mit Erfolg. NF „Ich werde die Welt nicht retten können. Vielmehr sollte sich der Gesetzgeber Regelungen überlegen.“ Jonas*, Student und Dumpsterer in Graz Graf-Putz | AK Niki Fink 24 | ZAK ZAK | 25

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