20210225_ZAK_direkt_September_2020

- AK | Graf-Putz Aktuell Einspruch gegen Strafe Die ärztliche Anordnung per Telefon wird immer wichtiger. Oft ist kein Arzt vor Ort, und aus Grün- den der Schnelligkeit und Einfachheit werden etwa Medikamente per Telefon – also mündlich – verord- net. Grundsätzlich sieht das GuKG vor, dass Anord- nungen schriftlich sein müssen. Eine Ausnahme ist dann möglich, wenn die Maßnahme oder Tätigkeit dringend notwendig ist und auf eine schriftliche Anordnung nicht gewartet werden kann. Das ist häufig im Nachtdienst der Fall. Die mündliche ärztliche Anordnung muss eindeutig und zweifelsfrei sein und sie muss unverzüglich, also bis zum Dienstende, schriftlich dokumentiert werden. Achtung: Eine Auskunft beim Gesundheitstelefon stellt keine mündliche An- ordnung im Sinn des GuKG dar. Es handelt sich dabei lediglich um eine Empfeh- lung. Wird im Anschluss an einen Anruf ein Medika- ment verabreicht, erfolgt dies ohne ärztliche Anord- nung, was eine Kompetenz- überschreitung der Pflege- person darstellen kann. anika.tauschmann@akstmk.at Telefonische Anordnung das recht im beruf AK-Expertin Mag. a Anika Tauschmann § ©Robert Kneschke - stock.adobe.com Frau S., Diplomkraft in einem steirischen Pflegeheim, staunte nicht schlecht, als ihr eine Straferkenntnis zugestellt wurde, das sie zur Zahlung von 4.800 Euro aufforderte. Sie habe, so der Vorwurf, Bewohnerinnen und Bewohner des Heimes mangelhaft ernährt und ihre Dokumentationspflicht vernachlässigt. Die AK erhob Einspruch. I mErkenntnis der Behördewur- de der steirischen Diplomkraft vorgeworfen, dass sie in dem privat geführten Pfegeheimdie Mangelernährung von Bewoh- nerinnen und Bewohnern sowie Verstöße gegen die Dokumen- tationspficht und die ärztliche Anordnung zu verantworten hätte. Frau S. sei für dieVorwürfe verantwortlich, da sie amTagder Heimkontrolle im Dienst war. Vorwurf Mangelernährung Kurios ist, dass sie für dieMangel- ernährung der Bewohnerinnen und Bewohner bestraft werden sollte, obwohl sie sich am Tag der Kontrolle erst amsiebtenTag im Dienst befand und noch in der Einschulungsphasewar. Die- ser Umstand spielte jedoch bei den Erhebungen der Behörde keine Rolle und so wurden Frau S. und eine weitere Kollegin für die Mangelernährung verant- wortlich gemacht. Verstoß Dokumentationspficht Zusätzlich wurde Frau S. vor- geworfen, dass sie Einträge im Suchtgiftbuch nicht vorge- nommen hätte. Dieser Vorwurf entsprach jedoch nicht den Ringen um einen Kollektivvertrag für Pfegekräfte Mit vielfältigen Aktionen machten Anfang des Jahres die für Pfe- gepersonal zuständigen Gewerkschaften vida und GPA Druck für eine 35-Stunden-Woche im Pfegebereich. Dieses Ziel wurde beim Abschluss für drei Jahre, der während des Corona-Lockdowns vereinbart wurde, teilweise erreicht. Nach Lohnerhöhungen um 2,7 Prozent ab Jänner 2020 und 0,6 Prozent kommendes Jahr wird 2022 die Arbeitszeit um eine Stunde auf 37 Stunden reduziert. für Diplomkraft schlossenwerdenkann. Hatman auf Missstände aufmerksam gemacht und unternimmt der Arbeitgeber nichts, um diese zu beseitigen, kann man im Schadensfall nicht zur Verant- wortung gezogen werden. Musterformular und Hilfe Als Unterstützung zurVerfassung einer Gefährdungsmeldung stellt die AK-Abteilung Gesundheit, Pfege und Betreuung ein For- mular sowie eine Anleitung zur Verfassung einer Gefährdungs- meldung zur Verfügung. Vorab können Sie sich in der Pfege-Ab- teilung natürlich auch persönlich über eine Gefährdungsmeldung beraten lassen. anika.tauschmann@akstmk.at Tatsachen. Das Pfegeheimhatte einen ganz besonderen Ablauf festgelegt, umdieMedikamente und somit auch die Suchtgifte für die Bewohnerinnen und Bewohner vorzubereiten. Aus Zeitgründen erfolgte die Ein- teilung in die Dispenser und die Dokumentation darüber im Nachtdienst. DerTagdienst hatte dieAufgabe, die vorsortierten Medikamente den jeweiligen Bewohnerinnen undBewohnernauszuhändigen. Eine Überprüfung, um welche Medikamente es sich handelte, war nicht mehr möglich. Der Tagdienst musste sich auf den Nachtdienst verlassen. Die Ver- abreichung der Medikamente wurde mittels „Abhaken“ in der Pfegedokumentation bestätigt. Die Behörde nahm keine Rück- sicht darauf, wie der individuelle Ablauf der Medikamentenein- teilung im Pfegeheim erfolgte. Laut Dienstplan schien Frau S. an diesem Tag als diensthabende DGKP auf und war somit der Sündenbock für den Fehler des Nachtdienstes. Gegen das Straferkenntnis er- hob Frau S. mit Unterstützung der Abteilung Pfege der Arbei- terkammer Einspruch. Der Fall landete vor dem Landesverwal- tungsgericht Steiermark. Ein Ur- teil stand zu Redaktionsschluss noch aus. Nicht der einzige Fall Auch eine weitere Betroffene meldete sich bei der Arbei- terkammer. In ihrem Fall wur- de das Verfahren jedoch nach Beschwerde beim steirischen Landesverwaltungsgericht so- fort eingestellt. Die Bau- und Anlagenbehörde hatte die Straf- bestimmungen des Steirischen Pfegeheimgesetzes falsch inter- pretiert. Die Betrofene hatte nie eine Übertretung des Gesetzes begangen. Pflegekräften schlägt die Arbeit auf die Gesundheit Organisationsverantwortung Grundsätzlich ist jede diplo- mierte Gesundheits- und Kran- kenpfegekraft in pfegerischen Belangen eigenverantwortlich tätig und trägt die Verantwor- tung für ihr Handeln oder Un- terlassen. Die Verantwortung des jeweiligen Trägers ist da- durch nicht automatisch ausge- schlossen. Im konkreten Fall ist erkennbar, dass die Abläufe im Pflegeheim derart organisiert waren, dass es zu Problemen kommen musste. Die einzige Diplomkraft Laut Aussage der Betroffenen waren sie und ihre Kollegin als einzige Diplomkräfte im Tag- und auch im Nachtdienst für 40 Bewohnerinnen und Bewoh- ner verantwortlich. Gemäß der Personalschlüsselverordnung des Landes Steiermark war der Mindestpersonalschlüssel zwar grundsätzlich erfüllt. Die Organisation trägt aber die Ver- antwortung für die Sicherheit der Betreuten. Ist diese trotz Erfüllung der Vorgaben nicht gewährleistet, ist der Heimbe- treiber verpfichtet, mehr Per- sonal als zumindest vorgesehen einzusetzen. Eine DGKP für 40 Bewohnerinnen und Bewohner kann neben ihremvollen Einsatz in der Pfege nicht auch noch die gesetzliche Aufsicht über die Pfegeassistenz oder Heimhilfe abdecken. Dies bedeutet ein hohes Risiko für alle Beteiligten. Gefährdungsmeldung Um sich selbst vor einer der- artigen Situation zu schützen, gibt es ein wirksames Mittel: die Gefährdungsmeldung. Mittels Gefährdungsmeldung teilt man dem Vorgesetzten mit, wenn beispielsweise durch zu wenig Personaleinsatz eine Gefähr- dung der Bewohnerinnen und Bewohner nicht mehr ausge- Erschöpfte Beschäftigte imPfegebereich: Der Beruf verlangt vielVerantwortung und hat sogar Strafdro hungen für Missstände. Drei von vier Pfegekräften wollen schon vor der Pension den Beruf wechseln. Foto: ÖGB Jeder dritten Pflegekraft in Österreich schlägt die Arbeit auf die Gesundheit. Drei von vier können sich nicht vor- stellen, bis zur Pension im Beruf zu bleiben. D ie Pfegekräfte inÖsterreich sind im internationalen Vergleich besonders belastet. Dies geht aus einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung (OECD) hervor. 35 Prozent der heimischen Pflegekräfte berichten von Gesundheits- problemen im Zusammenhang mit ihrer Arbeit, während es im OECD-Schnitt nur 15 Prozent sind. Einzig in Finnland ist dieser Wert höher. Viel besser ist die Si- tuation etwa in Spanien, wo nur sieben Prozent der Pfegenden angeben, dass sie in den zwölf Monaten vor der Befragung ein auf ihre Arbeit bezogenes Ge- sundheitsproblem hatten. 90 Prozent sind Frauen Um den steigenden Bedarf an Pflegepersonal zu decken, werden die Rekrutierung von Männern, eine bessere Bezah- lung und Ausbildung, aber auch der Einsatz von Technologie diskutiert. Derzeit sind mehr als 90 Prozent der Pfegekräfte weiblich, 20 Prozent sind im Ausland geboren. Das Durch- schnittsalter beträgt 45 Jahre. Um den Versorgungsstand zu halten, werden OECD-weit 13,5 Millionen Jobs zu besetzen sein. Im Osten fehlt Pfegepersonal Aktuell sei der Engpass an Pfe- gekräften amgrößten in Staaten wie der Slowakei, Polen und Rumänien, heißt es in der Stu- die. Das bedeutet, die vielen 24-Stunden-Betreuerinnen, die hier arbeiten, gehen in ihren Heimatländern als Pfegekräfte ab. Arbeitsklima-Index Ins Bild der schwierigen Lage bei den heimischen Pfegekräf- ten passt eine Auswertung des Arbeitsklima-Index der AK OÖ. Während über alle Branchen hinweg rund die Hälfte der Beschäftigten überzeugt ist, den Beruf bis zum Pensionsan- tritt auszuüben, schaut es bei Pfegekräften ganz anders aus: Drei Viertel von ihnen können sich diese Arbeit bis zur Pension nicht vorstellen. Zum Vergleich: 80 Prozent der Bankangestellten glauben, bis zur Pension im Be- ruf zu bleiben. 6 | ZAK direkt ZAK direkt | 7

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