ZAK_Juli 2015_ES_screen - page 8

WIRTSCHAFT
ZAK
Gastkommentar
Ao. Univ.-Prof. Dr. Bernhard Ungericht
Institut für Unternehmensrechnung und Reporting, Uni Graz
Mondragon und anders wirtschaften
I
m letzten Heft habe ich über
die Notwendigkeit einer De-
mokratisierung der Wirtschaft
geschrieben. Nun geht es um
konkrete Beispiele, wie Wirt-
schaftsdemokratie
bereits
funktioniert bzw. denkbar ist.
Das bekannteste Beispiel auf
Unternehmensebene sind die
Mondragon
Genossenschaf-
ten im spanischen Baskenland.
MCC (Corporacion Cooperativa
Mondragon) ist heute das siebt-
größte Unternehmen Spaniens
und gilt als das weltweit erfolg-
reichste genossenschaftliche
Unternehmen. Zu MCC gehö-
ren circa 100 Genossenschaf-
ten mit ungefähr 120 Tochter-
unternehmen, die 14 Milliarden
Euro Umsatz erwirtschaften.
Von den knapp 80.000 Beschäf-
tigten sind etwa 80 % Genos-
senschaftsmitglieder – also Ei-
gentümerInnen der Unterneh-
men. Die Beschäftigten sind zu
gleichen Teilen am Grundkapital
und den Gewinnen der Genos-
senschaft beteiligt und jeder hat
eine Stimme in den demokrati-
schen Abstimmungsprozessen.
Die maximale Lohnspreizung
zwischen Top-Management und
Beschäftigten darf nicht mehr als
1 zu 8 betragen.
W
irtschaftlich wie gesell-
schaftlich ist MCC ein Er-
folgsmodell: Laut Weltbank sind
die MCC-Genossenschaften nicht
nur die Unternehmen in Spanien
mit der höchsten Produktivität,
sie haben Krisen besser gemeis-
tert als andere Unternehmens-
formen. Die Region um Mond-
ragon hat Spitzenwerte bei Le-
bensstandard und -zufriedenheit
weltweit und eine der egalitärs-
ten
Einkommensverteilungen,
die Arbeitslosigkeit beträgt nie
mehr als ein Drittel der in Spa-
nien üblichen, 5 % der Gewinne
gehen in Form von Sozial- und
Kulturprojekten an die Gesell-
schaft zurück.
K
aum wo gibt es so viel zivil-
gesellschaftliches, ehrenamt-
liches Engagement. Jedes Kind
weiß, was eine Genossenschaft
ist, dass Probleme und gemein-
same Aufgaben am besten durch
demokratische Prozesse gelöst
werden und dass Kooperation
und Solidarität geeignetere ge-
sellschaftliche Prinzipien sind
als Wettbewerb und Egoismus.
Mondragon ist eine real existie-
rende Alternative – und das seit
60 Jahren – und stellt damit die
herrschende Logik in Frage. Und
Mondragon erinnert daran, dass
die Ökonomie eine dienende ge-
sellschaftliche Funktion hat. Die
US-Stadt Cleveland hat nach dem
Vorbild Mondragon 2009 mehre-
re Genossenschaften gegründet,
die im Besitz der Beschäftigten
und der Bevölkerung sind.
Neben der Ebene der Unterneh-
men haben wir noch die Ebene
der rechtlichen Rahmenord-
nung. Warum nicht mehr direk-
te Demokratie im Bereich der
Wirtschaft wagen? Wir könn-
ten sehr leicht verantwortungs-
orientierte Leitplanken für das
Wirtschaften demokratisch fest-
legen. Natürlich können wir auch
darüber entscheiden, welchema-
ximalen Lohn- und Einkommens-
unterschiede
gesellschaftlich
tragbar sind; ob Banken Kredite
für Finanzspekulationen, Nah-
rungsmittelspekulation vergeben
dürfen; ob wir eine Politik der
Steuerkooperationoder des Steu-
erwettbewerbs in Europa wollen;
ob es Banken, die mit Steuergel-
dern gerettet wurden, weiterhin
erlaubt sein soll, dass sie Filialen in
Steueroasen unterhalten.
F
ür die Mehrzahl von wirt-
schaftspolitischen Entschei-
dungen gilt, dass sie politisch-
ethische Fragen sind, die von
den Bürgerinnen – also den
Betroffenen – entschieden wer-
den können.
Weiterführende Beiträge
unter:
Zeitwohlstand
und
sinnerfüllte Arbeit
Alternative Entwürfe zur
„perversen Logik des Geldes“ und eine an Mensch und Natur
ausgerichtete Wirtschaft standen im Zentrum eines Diskussionsabends des „Impulszentrums
Zukunftsfähiges Wirtschaften“ im Kleinen Grazer Kammersaal.
„Unser Wirtschaf tssystem
drückt uns wie ein zu klei-
ner Schuh“, erklärte Gerhard
Zwingler, der Obmann des
Vereins „NETs.werk – Nach-
haltig leben“ und Leiter der
Regionalstelle Steyr, einem
Unternehmen für biologische,
fair bezahlte und regionale
Produkte. 2006 begann er
eine Einkaufsgemeinschaft
mit Biobauern zu organisie-
ren. Derzeit existieren 28
Regionalstellen. Man bediene
damit nur eine kleine Nische,
konzediert der Volkswirt, dem
ein alternatives Geldmodell
vorschwebt.
Im 270 Mitglieder zählenden
System „SonnenZeit“ wird ein
ausgabenbezogenes Grundein-
kommen mit Sonnenstunden
als Komplementärwährung
erprobt. Außerdem fordert
Zwingler eine Nachhaltig-
keitswertkennzeichnung von
Produkten, wodurch „Lebens-
förderliches billiger und Schä-
digendes teurer“ würde. Die
Kaufentscheidungen sollten
sich nicht nach Geldverfüg-
barkeit, sondern nach sozialen
und ökologischen Kriterien
richten. „Wir werden legal
beraubt bei Geld, Ressourcen
und Lebenszeit“, fordert der
Oberösterreicher eine zinslose
Geldschöpfung in öffentlicher
Hand. Und wie sieht für ihn
ein gutes Leben aus: „Viele
Menschen wünschen sich
wieder Zeitwohlstand und
ein sinnerfülltes Miteinander-
arbeiten.“
R. W.
Gerhard Zwingler gründete eine
Einkaufsgemeinschaft in Steyr
und will kein „Knecht des Gel-
des“ sein.
(Fotostudio 44)
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