ZAK Mai 2015_ES - page 8

Das undemokratische,
auf Gewinnmaximierung
ausgerichtete Wirtschafts-
system stand bei einer
prominent besetzten Podi-
umsdiskussion am Pranger.
WIRTSCHAFT
Wirtschaftssystem
in Frage gestellt
D
as System fährt an die
Wand“, stellte Landes-
hauptmann Franz Voves bei
der Diskussionsveranstaltung
„Wirtschaft für alle – ohne
Demokratie?!“ fest. Er gehöre
nicht zu denen, die sagen, es
gebe keine Alternative zum
vorherrschendenWirtschafts-
system, das nur Gewinnma-
ximierung und Konkurrenz-
druck statt Kooperation ken-
ne: „Die nächste Generation
braucht etwas anderes.“
Bei AK-Präsident Josef Pesserl
lief Voves damit offene Türen
ein. Auf lange Sicht könne
das vorherrschende System
Neue Spielregeln für die Wirtschaft: Reges Interesse bei Podiumsdis-
kussion in der Wirtschaftskammer.
(INFOGRAZ.at/Christine Kipper)
ZAK
Gastkommentar
Ao. Univ.-Prof. Dr. Bernhard Ungericht
Institut für Unternehmensrechnung und Reporting, Uni Graz
Eine (Heraus-)Forderung unserer Zeit
Wir lehnen ein politisches Sys-
tem ab, in dem Entscheidungs-
träger keinerlei Rechenschafts-
pflicht gegenüber der Bevöl-
kerung haben. Diktatur, Auto-
kratie, Expertokratie sind nicht
vereinbar mit einem demokra-
tischen Gemeinwesen. Aber
wie ist das in der Wirtschaft?
Die Wirtschaft prägt heute un-
ser aller Leben in enormer Wei-
se und beeinflusst maßgeblich
die Lebensbedingungen zu-
künftiger Generationen. Macht
„das Gold die Regeln“ und nicht
wir – die Betroffenen?
Unter Wirtschaftsdemokratie
versteht man die Ausdehnung
des Demokratieprinzips auf
die Wirtschaft. Wirtschafts-
demokratie soll (1.) eine Mit-
sprache der Betroffenen von
wirtschaftlichen Entscheidun-
gen sicherstellen und (2.) ver-
hindern, dass sich eine Gruppe
von mächtigen Wirtschaftsak-
teuren auf Kosten aller anderen
bereichern kann.
Nach den beiden Weltkriegen
war Wirtschaftsdemokratie eine
zentrale Forderung. Nie wieder
sollte es den wirtschaftlich Mäch-
tigen möglich sein, sich der de-
mokratischen Kontrolle komplett
zu entziehen und ihre Macht po-
litisch zu missbrauchen.
Die Ausschaltung demokrati-
scher Kontrolle und die Aus-
höhlung demokratischer Insti-
tutionen durch wirtschaftlich
mächtige Akteure ist aber auch
heute eine reale Gefahr: Der Lei-
ter des Max-Planck-Instituts für
Gesellschaftsforschung in Köln,
Wolfgang Streeck, konstatiert
gegenwärtig „eine Krise des
demokratischen Staates“. De-
mokratische Staaten würden zu-
nehmend „in Inkassoagenturen
im Auftrag einer globalen Oligar-
chie von Investoren verwandelt
werden“. Anstelle des demokra-
tischen Staates als Garant des
Gemeinwohls tritt der Wettbe-
werbsstaat, der in erster Linie
die Kapitalrentabilität sichern
soll – auch zulasten der Mehrheit
der Bevölkerung. Entdemokrati-
sierung geschieht auch, wenn in
Wirtschaftsabkommen (aktuell
TTIP) demokratisch nicht legiti-
mierte Akteure in ihrem Interesse
Regeln für Staaten festschreiben,
die nicht mehr durch demokra-
tische Volksentscheide rückgän-
gig gemacht werden können.
Wirtschaftsdemokratie ist auch
hinsichtlich großer Zukunftsfra-
gen relevant. Ewiges Wachstum
wird aus vielen Gründen nicht
mehr möglich sein. Wohlstand
ohne Wachstum ist aber eine
entscheidende
demokratische
Frage: Wie viel müssen wir über-
haupt produzieren, wie und wo
werden diese Produkte erzeugt
und verteilt? Wirtschaftsdemo-
kratie ist damit auch die Alterna-
tive zur Herrschaft einer kleinen
Elite, welche die Lebensbedin-
gungen der Mehrheit kontinu-
ierlich verschlechtert.
In einer aufgeklärten Gesell-
schaft ist nicht die Frage: „Wie-
viel Demokratie verträgt die
Wirtschaft?, sondern: „Welche
Art von Wirtschaft ist einer de-
mokratischen Gesellschaft an-
gemessen?“
Gehaltvolle Demokratie heißt,
dass die entscheidenden ge-
sellschaftlichen
Fragen
zu
demokratischen
Angelegen-
heiten gemacht werden: Wie
schaffen wir sinnstiftende Ar-
beit, wie verteilen wir die Ar-
beit und die Früchte der Arbeit
gerecht? Wie schaffen wir den
zivilisierten Ausstieg aus dem
gegenwärtigen Ressourcenver-
schwendungsmodell?
Dabei müssen wir nicht alles
neu erfinden: Es gibt genügend
Beispiele und Vorschläge für
die Demokratisierung der Wirt-
schaft (mehr dazu in der nächs-
ten Ausgabe).
Weiterführende Beiträge
unter:
nur ins Verderben führen:
„Höchste Zeit, dass die Politik
die Zügel in die Hand nimmt
und für Rahmenbedingungen
sorgt, dass die Wirtschaft im
Sinne der Menschen organi-
siert wird.“
Dem Hausherren, WK-Präsi-
dent Josef Herk, blieb es vor-
behalten, Vorsicht beim Ruf
nach einer Systemänderung
einzumahnen: „Wi r leben
nicht in einem gallischen
Dorf.“ Zuvor hatte Univ.-Prof.
Bernhard Ungericht die Demo-
kratisierung der Ökonomie als
„wichtigste Herausforderung
der Gesellschaft“ bezeichnet
(siehe Gastkommentar).
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