ZAK September 2018_Ansicht - page 4-5

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ZAK
ARBEITSZEIT
Seit wenigen Tagen
sind
die längeren Arbeitszeiten im
Arbeitsleben angekommen. In
die jährlichen Lohnrunden mit
den Unternehmen wollen die
Gewerkschaften Fragen zur
Arbeitszeit hineinpacken.
D
ie sieben im ÖGB organ-
sierten Gewerkschaften
verhandeln jährlich hunderte
Kollektivverträge, in denen die
Arbeitsbeziehungen zwischen
den Beschäftigten und den
Unternehmen einer Branche
genau geregelt werden. Neben
Lohn- und Gehaltserhöhungen
wird ab Herbst ein zusätzlicher
Punkt angesprochen: Wie wird
mit den längeren Arbeitszei-
ten umgegangen, etwa bei der
Planbarkeit?
Gemeinsame Strategie
Di e KV-Verhandl er innen
und -Verhandler der sieben
Gewerkschaften setzen sich
dieser Tage zusammen, um
eine gemeinsame Strategie zu
entwickeln. Erstmals in der
Geschichte des ÖGB wird es
eine gemeinsame Richtung der
Forderungen geben. Eine zent-
rale Frage wird sein, wie lange
vorher Beschäftigte erfahren
müssen, dass eine elfte und
zwölfte Arbeitsstunde notwen-
dig werden. Hier geht es auch
um durchsetzbare Sanktionen
bei Nichteinhaltung.
Viertagewoche
Zweites Thema wird als Aus-
gleich zu längeren täglichen
und wöchentlichen Arbeitszei-
ten die leichtere Erreichbarkeit
Protest
gegen
12-Stunden-Tag
100.000 Menschen
de-
monstrierten im Juli gegen
die Einführung längerer Ar-
beitszeiten. Gebracht hat das
nur minimale Verbesserungen
des Gesetzes. In Graz wurde
daher weiter protestiert.
A
m 1. September fand der
ÖGB-Aktionstag am Gra-
zer Hauptplatz statt. Grund
dafür war das neue Arbeits-
zeitgesetz, das am selben Tag in
Kraft trat und eine 60-Stunden-
Arbeitswoche ermöglicht. „Wir
kämpfen mit aller Kraft für ein
Leben mit fairen Arbeitsbedin-
ARBEITSZEIT
Rund 98 Prozent aller Beschäf-
tigten sind in Österreich durch
einen Kollektivvertrag ge-
schützt. Aber was genau ist das
eigentlich?
Viele Rechte und Ansprüche sind
nicht in Gesetzen festgehalten.
So gibt es zum Beispiel keine
fixen Mindestlöhne, aber auch
Urlaubs- und Weihnachtsgeld
und Zuschläge etwa für Nacht-
arbeit sind in keinem Gesetz
verankert. Genau hier greift der
Kollektivvertrag ein: In ihm wer-
den Vereinbarungen zwischen
Unternehmen und Beschäftigten
einer Branche getroffen, die für
faire Arbeitsbedingungen sorgen
sollen. Diese KV-Regelungen
dürfen durch Betriebsvereinba-
rungen undArbeitsverträge nicht
verschlechtert werden.
Mehr Mitglieder –
bessere Verträge
Ausverhandelt werden diese
Verträge zwischen Gewerkschaf-
ten und Arbeitgeberseite (Wirt-
schaftskammer). Je höher der An-
teil an Gewerkschaftsmitgliedern
in einer Branche, desto besser ist
die Verhandlungsposition der
Gewerkschaften für gute Ab-
schlüsse.
Bis es zu einer Einigung kommt,
kann es mehrere Verhandlungs-
runden geben. Fällt das Ergebnis
nicht zur Zufriedenheit der Be-
schäftigten aus, kann es zu Pro-
testen bis hin zu Streiks kommen.
So legten etwa die Pflegerinnen
und Pfleger im Februar 2018
ihre Arbeit für mehrere Stunden
nieder, ehe es eine Einigung
auf eine Lohnerhöhung von 2,5
Prozent gab.
der sechsten Urlaubswoche
und die Umsetzung der Vier-
tagewoche sein. Derzeit gibt
es kaum Modelle für die Vier-
tagewoche und mehr Urlaub
erst nach 25 Dienstjahren bei
einem Unternehmen, wobei
nur begrenzt Arbeitsjahre bei
anderen Arbeitsstellen ange-
rechnet werden.
Betriebsrat
Das Ablehnungsrecht der Be-
schäftigten für die elfte und
zwölfte Arbeitsstunde könn-
te durch die verpflichtende
Einbindung des Betriebsrates
gestärkt werden.
SH
Weihnachtsgeld
und Kollektivvertrag
gungen, daher halten wir den
Protest weiterhin aufrecht“,
sagt ÖGB-Landesvorsitzender
Horst Schachner. Passantinnen
und Passanten wurde versi-
chert, dass bei den Herbstlohn-
runden die Auswirkungen des
Gesetzes auf die Beschäftigten
abgemildert werden.
Verdunkelter Himmel
Höhepunkt der Aktion war das
Aufsteigen von 5.000 schwar-
zen Ballons. Schachner: „Mit
dieser Aktion wollen wir die
dunklen Wolken, die für alle
Beschäftigten am Himmel auf-
ziehen, symbolisieren.“
NF
Fußball,
Seinen Hobbys,
freiwilli-
gen Verpflichtungen oder
Interessen nachzugehen,
wird künftig durch das neue
Arbeitszeitgesetz erschwert
werden. Dieser Meinung sind
Vertreter aus Sport, Ehren-
amt und Bildung.
E
r gehe davon aus, dass die
Probleme für den Spielbe-
trieb mit den neuen längeren
Arbeitszeiten zunehmen wer-
den, sagt Fußballtrainer Stefan
Schwarz vom Grazer LUV.
Schon jetzt seien vor allem
bei den Schichtarbeitern viel
Engagement und verständnis-
volle Chefs gefragt, damit ein
Einsatz bei Meisterschaftsspie-
len möglich ist. Für talentierte
„Wenn man sich die Arbeitszeiten selbst einteilen
kann, ist es gut. Sollte die Anweisung, länger zu ar-
beiten, vom Dienstgeber kommen, ist es hingegen
problematisch. Generell sollte ein 12-Stunden-Tag
nur die absolute Ausnahme sein.“
Verena Hohenadler, 58, Angestellte
„Solange die Überstunden auf Freiwilligkeit beru-
hen, ist alles gut. Ich befürchte aber, dass manche
Firmen großen Druck auf ihre Angestellten aus-
üben werden. Bei uns im Geschäft wird die Rege-
lung glücklicherweise nicht angewendet werden.“
Bekim Gjergji, 39, Verkäufer
„Solange es ein „Darf“ und kein „Müssen“ ist, finde
ich die Idee gut. Allerdings könnten Arbeitnehmer
stark unter Zugzwang geraten – da der 12-Stun-
den-Tag als Druckmittel verwendet werden kann.
Sie gehören durchs Gesetz besser geschützt.“
Barbara Busser, 54, leitet Patientenadministration
„60 Stunden in der Woche zu arbeiten, schadet auf
lange Sicht der Gesundheit. Für jüngere Dienstneh-
mer ist das vielleicht noch möglich, im fortgeschrit-
tenen Alter wird die Belastung aber zu hoch. Ich bin
42 Stunden im Einsatz und das reicht vollkommen.“
WolfgangMende, 50, diplomierter Krankenpfleger
Jugendliche bedeutet der Start
einer Lehre imHandel oder im
Gastrobereich fast automatisch
das Ende für den Fußballsport.
Spiele am Freitag- und Sams-
tagabend seien mit diesen Be-
rufen nicht mehr möglich. Trai-
ner Schwarz sagt, als Reaktion
auf die neuen Arbeitszeitregeln
überlege er, den Kader zu ver-
größern oder mehr Studierende
einzusetzen.
Ehrenamt wird leiden
„Nach den Unwettereinsätzen
gibt es immer das große Danke
in den Zeitungen, aber am Tag
danach ist es wieder vergessen,
dass es eine ehrenamtliche
Tätigkeit ist, für die Zeit aufge-
bracht wird“, kritisiert Marcus
Gordisch, Kommandant der
Freiwilligen Feuerwehr Ho-
henbrugg/Raab. Einige wenige
Feuerwehrleute dürften zwar
problemlos zu Einsätzen weg,
aber der Chef sage ihnen schon,
dass die Arbeit „natürlich er-
ledigt gehört“. Wenn man von
Haus aus 60 Stunden arbeite,
könne das eine „sehr lange
Arbeitswoche“ werden. Im
schlimmsten Fall fehle es aber
künftig an Mannstärke beim
Einsatz, sieht Gordisch durch
das neue Gesetz „massive Pro-
bleme“ auf die Freiwilligen
zukommen.
Zudem gehöre die Jugend be-
treut, die vor allem vor Bewer-
ben über Wochen mehrmals
wöchentlich übt. „Es ist jetzt
schon schwer, jemanden für
verantwortungsvolle Positio-
nen zu finden, der sich die Zeit
nehmen kann. Bei 60 Stunden
die Woche wird das nicht bes-
ser“, so Gordisch. Außerdem
braucht es Helferinnen und
Helfer bei Feuerwehr-Veran-
staltungen, die dazu dienen,
dass Ausrüstungen, Fahrzeuge
usw. finanziert werden kön-
nen.
Problem für Bildung
„Die Erwachsenenbildung
steht bei der Planung ihrer An-
gebote wegen der neuen langen
Arbeitszeiten vor großen He-
rausforderungen“, sagt VHS-
Chef Martin Bauer. Man werde
sehr flexibel reagieren und
versuchen, allen Interessierten
qualitativ hochwertige Kurse
zum passenden Zeitpunkt zu
organisieren. Trotzdem könne
es zu einem Rückgang bei der
Zahl der Teilnehmenden kom-
men, befürchtet
der Bildungs-
experte. Es sei
schwer vorstell-
bar, dass nach ei-
nemoder mehreren
12-Stunden-Tagen
die Lust auf kör-
perliche Betä-
t i gung oder
i nha l t l i ch
komplexe
Fort- und
Weiterbil-
dungsthemen groß
sei. Bauer: „Ich kann
alle verstehen, die
sich nach solchen
Arbeitstagen lieber
auf der Couch ausstre-
cken anstatt EDV oder Spra-
chen zu lernen.“
SH, JF
Feuerwehr:
weniger Zeit für Hobbys
Arbeitszeiten:
Thema im KV
Nikolaus Fink (4)
Die Metaller sind traditionell die ersten bei den KV-Verhandlungen. Ihre
Ergebnisse sind Vorbild für Abschlüsse anderer Branchen.
Ballons als „dunkle Wolken über den heimischen Beschäftigten“: Der
ÖGB-Protest gegen das neue Arbeitszeitregime geht weiter.
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© Regine Schöttl
J. Kucek
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