ZAK_Juli 2015_ES_screen - page 20

Mehrfache
Die Juden in Graz haben nie mehr als zwei Pro-
zent der Bevölkerung ausgemacht – dennoch
wurden sie seit ihrer ersten Erwähnung im 12.
Jahrhundert immer wieder dämonisiert und
mehrfach vertrieben. Eine Geschichte, von der
sich die kleine Gemeinde, die heute keine 150
Mitglieder umfasst, nie mehr erholt hat.
E
s sind kleine literarische
Sk i zzen, d ie Ger shon
Shoffmann zwischen 1921
und 1938 in Graz verfasst hat.
In der Miniatur „Vertrau dir
selbst nicht“ schildert der in
Russland geborene Jude seine
Bekanntschaft mit dem Wet-
zelsdorfer Bauern Porgaj, der
sich oft darüber beklagt hat,
dass sich junge Leute in seinen
Getreidefeldern wälzen. „Der
Hagel ist noch besser als sie“,
sagt der betagte Mann, der
selbst unter keinen Umstän-
den auch nur einen Schritt in
seine Felder ausweicht, um
nur ja keine Frucht zu beschä-
digen. Als aber die Nazis an
die Macht kamen, hat sich das
Verhältnis zwischen Porgaj
und Shoffmann verschlech-
tert: „Eines Tages trafen wir
uns auf einem schmalen Feld-
weg und er hatte keine Mög-
lichkeit auszuweichen. Was
wird er tun? In diesem Fall
konnte der alte Mann seinen
Prinzipien nicht treu bleiben.
Er ging ins Feld. ER ging ins
FELD! Also: Vertraue dir bis
zu deinem Tod selbst nicht!“
Diesen und weitere ähnliche
Vorfälle im Sommer 1938 hat
Shoffmann zum Anlass ge-
nommen, um nach Palästina
auszuwandern. Ihm gleich-
getan, wenngleich auch unter
massivem Druck, hat dies
auch Otto Löwi, Ordinarius
des Pharmakologischen Insti-
tuts an der Grazer Universität,
der 1936 für seine Forschung
über Nervenzellen mit dem
Nobelpreis für Medizin aus-
gezeichnet worden war. Er
ging 65-jährig mit nur zehn
Reichsmark in der Tasche
nach London. Ein ähnliches
Schicksal erlitt auch Mela
Spira-Hartwig, als Literatin
eine f rühe Kämpferin für
die Rechte der Frauen, sowie
knapp 2.000 weniger bekannte
Juden, die ihre Heimatstadt
verlassen mussten.
Bereits 1940 „judenfrei“
Und so konnte sich Graz im
Frühjahr 1940 rühmen, die
erste „judenfreie Stadt“ der
Ostmark zu sein. Ein unrühm-
licher Titel, aber einer mit
Tradition: Bereits 1497 wurde
das jüdische Wohnviertel, das
sich in dem Geviert zwischen
dem heutigen Grazer Rathaus,
der Schiefen Laterne, dem Ei-
sernen Tor und dem Bischofs-
haus befunden hatte, aufgelöst
und seine Bewohner für 350
Jahre der Stadt verwiesen.
Erst 1861, also 13 Jahre nach
der theoretischen Gleichbe-
SERIE
Z
E
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P
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U
N
G
FRISCH
GEPRESST
AUS DER AK-BIBLIOTHEK
ric, der über Jahre 90 Prozent
der chinesischen Immigration
nach Europa kontrollierte, oder
Muammer Küçük, der türkische
Menschenschieber im Mittel-
meerraum. Über Augenzeu-
genberichte zeigt das Buch die
größte kriminelle „Reiseagen-
tur“ der Welt bei der Arbeit.
Christian Lehner: Piran
für alle Jahreszeiten.
Heyn Verlag Klagenfurt
2015. 285 Seiten.
Fünf Spaziergänge geleiten
durch Piran, fünf Kulturwande-
rungen führen hinaus: in das
Tourismuszentrum Portorož,
die Küstenstädte Izola und Ko-
per, in die Naturparks Secovlje
und Strunjan sowie zu Produ-
zenten kulinarischer Kostbar-
keiten wie Fleur de Sel, Oli-
venöl, Mangold, Trüffel, Khaki
und Wein. Stadtpläne, gastro-
nomische Empfehlungen und
eine Übersicht über alljährli-
che Festlichkeiten runden den
handlichen Reisebegleiter ab.
Erwin Bruckner /
Martin Gruber:
Fair (ver)mieten.
Vertragsabschluss. Kaution,
Befristung, Mietende.
Zulässiger Mietzins. VKI
2015. 156 Seiten.
Alle grundsätzlichen Informatio-
nen zum komplizierten österrei-
chischen Mietrecht: für Vermie-
ter, die an einem fairen Interes-
senausgleich interessiert sind,
aber auch für Mieter, die wissen
möchten, was sie sich von ihrem
Vermieter erwarten dürfen.
Greg Iles:
Natchez Burning.
Thriller. Rütten & Loening
Verlag 2015. 1.007 Seiten.
Ein packender Thriller über
Liebe, Schuld und Sühne.
Penn Cage, Bürgermeister
von Natchez, Mississippi, hat
eigentlich vor zu heiraten.
Da kommt ein Konflikt ans
Tageslicht, der seine Stadt seit
Langem in Atem hält. In den
60-er Jahren hat eine weiße
Geheimorganisation Schwarze
ermordet oder aus der Stadt
vertrieben. Nun ist Viola Turner,
eine farbige Krankenschwester,
die damals floh, zurückgekehrt
– und stirbt wenig später. Die
Polizei verhaftet ausgerechnet
Penns Vater. Zusammen mit
einem Journalisten macht sich
Penn auf, die Rätsel zu lösen.
Di Nicola / Musumeci:
Bekenntnisse eines
Menschenhändlers.
Das Milliardengeschäft mit
den Flüchtlingen. Ant-
je Kunstmann 2015. 205
Seiten.
Die Autoren haben entlang
der Hauptrouten illegaler Im-
migration recherchiert und
lassen die Menschenhändler
selbst sprechen: Anwerber
und Skipper, Vermieter ille-
galer Unterkünfte, Geldhänd-
ler. Hinter einem raffinierten
Netzwerk
verbergen
sich
etwa der Kroate Josip Lonca-
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