Links: Gershon Shoffmann
hat von 1921 bis 1938 in
Graz gelebt und gilt mit sei-
nen Texten als „hebräischer
Peter Altenberg“. Der 1972 in
Israel verstorbene Autor sah
Graz nie wieder.
(Fotos links und
unten aus: Wolfgang Sotill: Es gibt
nur einen Gott und eine Menschheit,
Styria 2001)
Rechts: 1892 eingeweiht,
1938 niedergebrannt, wurde
im November 2000 die
neue Synagoge am Murkai
übergeben.
(Foto: Amsüss/APA-
Picturedesk)
Vertreibung der Juden
rechtigung aller Staatsbürger
im Jahre 1848, wurde es Juden
wieder gestattet, in Graz zu
übernachten.
Reisestation
Sie knüpften damit an eine
Tradition an, die im Jahre 1147
in dem Gebiet von Judendorf/
Straßengel begonnen hatte:
Damals ließen sich die ersten
Juden nördlich von Graz nie-
der, wobei die Bezeichnung
„Dorf“ irreführend ist. Die
Bewohner betrieben keine
Landwirtschaft, sondern das
„Judendorf“ war eine Reise-
station, wo sich die Glaubens-
brüder, die Handel zwischen
dem Mittelmeerraum und der
Ostsee betrieben hatten, aus-
rasten konnten.
Graz war eine Stadt mit einer
nicht unbedeutenden jüdi-
schen Geschichte – eine, die
nach dem schweren Aderlass
durch die Nazis nie mehr zu
ihrer alten Bedeutung zu-
rückfand. „Nach dem Krieg
wurden wir ignoriert, aber
von einem Wohlwollen war
nichts zu spüren“, beschrieb
Konsul David Brühl, lang-
jähriger Präsident der Isra-
elitischen Kultusgemeinde,
das Verhältnis der Grazer zu
ihren jüdischen Mitbürgern
nach dem Krieg. Erst mit der
Wahl von Alfred Stingl zum
Bürgermeister im Jahre 1985
änderte sich die Stimmung.
Die alten politischen Ressen-
timents verschwanden, eine
neue Erinnerungskultur, zu
der übrigens auch Kultur-
stadtrat Helmut Strobl viel
beigetragen hat, verbreitete
sich langsam. Ihren ersten
offiziellen Höhepunkt erfuhr
diese durch die Errichtung
eines Gedenksteins am 9. No-
vember 1988, 50 Jahre nach
dem Novemberpogrom (auch:
„Reichskristallnacht“) am
Platz der niedergebrannten
Synagoge: Axel Corti hielt
damals die Gedenkrede, ein
brillantes Stück Erinnerungs-
kultur, in dem der Intellek-
tuelle eine nüchterne Analy-
se des 20. Jahrhunderts bot.
Dieser Festakt gab auch den
Anstoß zur Diskussion über
die Wiederer richtung der
Synagoge auf dem alten Platz
am Murkai. Alle im Stadtpar-
lament vertretenen Parteien
stimmten zu, und der Bau des
Architektenehepaars Ingrid
und Jörg Mayer wurde am 9.
November 2000 seiner Bestim-
mung übergeben.
Es ist ein Bau, der internati-
onal aus zwei Gründen für
Aufsehen sorgte. Zum einen
wegen seiner Glaskuppelkon-
struktion, in die Texte aus der
Thora eingeritzt sind, zum
anderen wegen der Idee, zwi-
SERIE
Die Grazer
Bürger schau-
ten 1938 zu:
Einen Tag nach
der Synagoge
brannte auch
die Zeremoni-
enhalle auf dem
Wetzelsdorfer
Friedhof.
schen dem niedergebrannten
und dem wieder zu errich-
tenden Bau eine Kontinuität
herzustellen. Der erste, der
bereits 1983 dazu Vorarbeiten
geleistet hatte, war der Grazer
Künstler Fedo Ertl. Er hatte
die Ziegel jener Mauer in der
Alberstraße/Mayffredigasse
vom Verputz freigelegt, die
aus den Überresten der 1938
niedergebrannten Synagoge
entstanden ist. Im Rahmen
des Zeitgeschichteunterrichts
haben 1999 151 Grazer Schüler
in rund 10.000 Arbeitsstunden
diese Ziegel gereinigt. Sie
bilden heute die Basis jener
neuen Synagoge, auf die die
Stadt Graz, aber auch die
Kultusgemeinde so stolz sind.
Der Bau ist da – ihn wie vor
der NS-Zeit mit jenem Leben
zu füllen, das die erste, 1892
eingeweihte Synagoge ausge-
zeichnet hat, ist schwer, denn
der Israelitische Kultusverein,
der für die Steiermark, Kärn-
ten und das südliche Burgen-
land zuständig ist, umfasst
heute keine 150 Menschen
mehr.
Wolfgang Sotill*
* Der freie Journalist, Reiselei-
ter und Hochlandrindzüchter
lebt bei Graz.
ZAK
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