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Links: 150.000 km
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radioaktiv verseucht
Rechts: Der Unglücksre-
aktor wurde unter einem
Sarkophag „vergraben“.
(Fotos: l.: kaninstudio | Fotolia
r.: Maksym Dragunov | Fotolia)
Mit den Reiseführern gut
begleitet in exotische
Länder reisen.
SERIE
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FRISCH
GEPRESST
AUS DER AK-BIBLIOTHEK
Bald ist wieder Reisezeit. Die AK-
Bibliothek ist darauf bestens vor-
bereitet: über 1.300 Reiseführer
befinden sich im Bestand. Regel-
mäßig werden ältere Bestände
ausgetauscht, sodass für na-
hezu alle Destinationen immer
die aktuellen Titel angeboten
werden können. Ergänzt wird
das Angebot mit verschiedenen
Reisezeitschriften wie „Merian“,
„Geo-Special“ und „Geo-Saison“
oder „Abenteuer + Reisen“. So-
mit werden auch seltenere Rei-
seziele wie Usbekistan, die Os-
terinsel oder Taiwan abgedeckt.
Und wenn jemand lieber daheim
bleibt: 150 Wanderführer und
über 80 Radwanderführer bieten
sicherlich genügend Anregun-
gen. Zum Schluss noch ein Tipp:
in der Bibliothek werden die
meisten Reiseführer im Mai und
Juni entlehnt. Also lieber früher
kommen!
Die Gegend rund um Tschernobyl bleibt auf ewig Sperrzone.
(ninelutsk | Fotolia)
Ewiges Mahnmal Tschernobyl
Der 26. April 1986 hat sich tief in das Bewusst-
sein der Menschheit eingegraben: als jener Tag,
an dem Block 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl
in die Luft flog und die freigesetzte Strahlung
zehntausende Quadratkilometer atomar ver-
seuchte. Seit 30 Jahren steht Tschernobyl als
Mahnmal für die Gefahren der friedlichen Nutzung
der Atomenergie.
Die Katastrophe von Tscherno-
byl nahe der ukrainisch-weiß-
russischen Grenze (damals
beides Sowjetrepubliken der
UdSSR) führte der Mensch-
heit drastisch vor Augen,
welches Gefahrenpotenzial in
der Atomenergie lauert. Zwar
hatte es schon vorher Störfälle
in Atomkraftwerken gegeben
– wie etwa im Atommeiler
Three Mile Island in den USA
– Tschernobyl steht jedoch seit
damals als Synonym für den
Super-GAU.
Sicherheitstest
Groteskerweise führte ein
Sicherheitstest, der nach-
weisen sollte, dass auch im
Falle eines Stromausfalls die
Not kühlung des Reaktors
gewährleistet ist, zur Katast-
rophe. Aufgrund von Bedie-
nungsfehlern, Konst rukti-
onsmängeln und einer Reihe
falscher Entscheidungen war
der Test völlig außer Kontrolle
geraten. Eine unkontrolliert
ausgelöste Kettenreaktion
führte zur Überhitzung des
Reaktors und schließlich zur
vollständigen Kernschmelze.
Zwei gewaltige Explosionen
sprengten die tonnenschwere
Abdeckung des Reaktorkerns.
Dadurch wurden große Men-
gen an radioaktivem Material
freigesetzt. Der GAU (größter
anzunehmender Unfall) war
eingetreten.
Folgen
Die unmit t e l ba r e Fol ge:
150.000 Quadratkilometer
in Weißrussland, der Ukra-
ine und Russland wurden
radioaktiv verseucht. Mehr
als 330.00 Menschen, die in
unmittelbarer Nähe des Reak-
tors lebten, mussten evakuiert
werden. 600.000 bis 800.000
sogenannte „Liquidatoren“ –
sogenannt, weil ihr Auftrag
war, die radioaktive Strahlung
durch verschiedene Maß-
nahmen zu „liquidieren“ –
kämpften buchstäblich unter
Einsatz ihres Lebens gegen
die Strahlung. Unter diesen Li-
quidatoren – Wehrdienstleis-
tende, Polizisten, Feuerwehr-
leute, Angehörige chemischer
Spezialtruppen, Bergleute,
Ärzte, Krankenschwestern
– gab es naturgemäß zahlrei-
che Todesopfer. Wobei sich
aufgrund unterschiedlicher
Interessenlagen der untersu-
chenden Behörden bis heute
nicht klipp und klar sagen
lässt, wie viele Todesopfer es
unter den Einsatzkräften oder
in der Zivilbevölkerung gab,
zumal die Tschernobyl-Folgen
nur schwer räumlich und
zeitlich einzugrenzen sind.
Während der offizielle Bericht
des Tschernobyl-Forums von
4.000 Todesopfern spricht,
die die Katastrophe direkt
und indirekt gefordert habe,
gehen atomkritische Organi-
sationen von deutlich höheren
Opferzahlen – die bis zu 1,4
Millionen reichen – aus.
Ausland
Die Auswirkungen des Su-
per-GAUs reichten weit bis
über die Grenzen der dama-
ligen Sowjetunion hinaus.
Die atomare Wolke erreichte
mit einigen Tagen Verzöge-
rung halb Europa, unter den
hauptbetroffenen Ländernwar
auch Österreich. Auch wenn
keine Empfehlung erging, in
den Häusern zu bleiben – so
fand der traditionelle Maiauf-
marsch in Wien wie geplant
statt –, war eine deutlich
erhöhte Strahlenbelastung
messbar. Der Verkauf von fri-
schem Blattgemüse wurde vo-
rübergehend ebenso verboten
wie Grünfütterung von Kühen,
Frischmilchwurde streng kon-
trolliert. Studien gehen davon
aus, dass die erhöhte Strahlung
durch Tschernobyl auch in Ös-
terreich rund 1.500 zusätzliche
Krebstote gefordert hat.
Auch energiepolitisch hatte
der Super-GAU Folgen. Nicht
zuletzt unter dem Eindruck
von Tschernobyl beschlos-
sen einige Länder den lang-
f ristigen Ausstieg aus der
Atomenergie. Österreich war
aufgrund der Volksabstim-
mung über Zwentendorf erst
gar nicht eingestiegen, der
Tschernobyl-Schock war je-
doch einer der Gründe, warum
Österreichs „Atomfreiheit“
auch in der Verfassung fest-
geschrieben wurde.
Mahnmal
Mehr als 4.000 Quadratkilo-
meter um Tschernobyl sind
nach wie vor Sperrzone. Der
Unglücks-Reaktorblock wurde
unter tausenden Tonnen Beton
und Stahl („Sarkophag“) „be-
graben“, um zu verhindern,
dass weiter Radioaktivität aus-
tritt. Dieser Beton- und Stahl-
Mantel ist allerdings brüchig
geworden, sodass ein weiterer
„Sarkophag“ über den alten
gestülpt wird. Die Arbeiten
sind noch nicht abgeschlossen,
das „New Safe Confinment“
soll 2017 fertiggestellt sein
und für 100 Jahre garantieren,
dass keine Strahlung in die
Atmosphäre entweichen kann.
Der auf diese Weise mehrfach
ummantelte Reaktorblock ragt
damit als „ewiges Mahnmal“
für die Gefahren der Atom-
energie aus einer entvölkerten
Landschaft.
Berndt Heidorn
Von Aachen bis Zypern
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